26.03.2024

«[liste@kopi-online.de] WG: Angriffe auf Krankenhäuser in Gaza

aus e-mail von Ingrid Rumpf, 26. März 2024, 16:35 Uhr


_Berichte:_

1. über die Kämpfe um das Shifa--Krankenhaus in Gaza

2. Recherche der Washington Post zu Hamas-Zentrale unter Shifa-Krankenhaus

3. Israel verhindert Lebensmittelversorgung im nördlichen Gaza-Streifen

4. Zu Deutschlands Israel-Haltung

5. Fehlende Hilfsgüter kein logistisches, sondern politisches Problem

u.a.


-----Original-Nachricht-----


Betreff: Angriffe auf Krankenhäuser in Gaza


Datum: 2024-03-25T12:11:02+0100


Von: "martha.tonsern@palestinemission.at"

<martha.tonsern@palestinemission.at>


An: "martha.tonsern@palestinemission.at"

<martha.tonsern@palestinemission.at>


/„Wir sind dabei, ausgelöscht zu werden. Wir werden massenhaft

ausgelöscht. Und Sie tun so, als würden Sie sich um humanitäre Rechte

und Menschenrechte kümmern, aber das ist nicht das, was wir jetzt

erleben. Um uns das Gegenteil zu beweisen, tun Sie bitte etwas.“/


Dr. Hammam Alloh in einem Interview mit Democracy Now, Ende Oktober 2023


(Dr. Alloh wurde, gemeinsam mit seinem Vater, ebenfalls Arzt, und

weiteren Verwandten bei einem israelischen Luftangriff am 11. November

2023 getötet)


Sehr geehrte Damen und Herren,


weiterhin erreichen uns erschütternde Nachrichten aus Gaza. Nicht nur

das Al Shifa Krankenhaus wird seit sieben Tagen belagert und

angegriffen. Die israelische Armee belagerte gestern zwei weitere

Krankenhäuser im Süden von Gaza, setzten medizinische Teams unter

schwerem Beschuss fest und erzwangen die Evakuierung von PatientInnen

und Vertriebenen, die in einem der Krankenhäuser untergebracht waren.


Der palästinensische Rote Halbmond berichtete, dass einer seiner

Mitarbeiter und ein Patient getötet wurde, als israelische Panzer

plötzlich in die Gegend um die Krankenhäuser Al-Amal und Nasser in der

südlichen Stadt Khan Younis zurückkamen und dabei Granaten und Schüsse

abfeuerten. Das Krankenhauspersonal und die Patientinnen und Patienten

wurden dazu aufgerufen, das Krankenhaus unbekleidet, d.h. nackt, zu

verlassen.


Die Situation im und rund um das Al-Shifa Spital kann seit einer Woche

nur als katastrophal bezeichnet werden. 30 000 Menschen,

Krankenhauspersonal und Schutzsuchende, hielten sich im und am Gelände

des Krankenhauses auf. Erschütternde Berichte von Kriegsverbrechen der

israelischen Armee dringen nach außen. Als gesichert gilt die

Information, dass Dr. Muhammad Zaher Al-Nono von israelischen Soldaten

hingerichtet wurde, nachdem er sich geweigert hatte, das Krankenhaus zu

verlassen und darauf bestand, die Verletzten weiterhin zu behandeln.

Zahlreiche Ärzte und Krankenhauspersonal wurden verhaftet, ihr Verbleib

ist unbekannt. Die Zahl der bisher getöteten Menschen nicht

einschätzbar. Nach Angaben des Generaldirektors der

Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, ist der

Kontakt mit dem Gesundheitspersonal im Spital nun abgebrochen.


Die Hilfsorganisation Ärzte ohne erklärte gestern in den sozialen

Medien, dass die heftigen Kämpfe um das Krankenhaus weiterhin andauerten

und "die Patienten, das medizinische Personal und die Menschen, die mit

nur wenigen Nahrungsmitteln eingeschlossen sind, gefährden".


*Eindrücke eines Arztes aus dem Al-Shifa-Krankenhaus von vor drei Tagen

*(Gepostet von Tedros Adhanom Ghebreyesus, WHO, 22.03.2024

https://twitter.com/DrTedros/status/1771276290315653372):


- 50 Angestellte des Gesundheitswesens (die meisten von ihnen

Junior-Kräfte oder Freiwillige) und 143 Patienten sind seit dem zweiten

Tag der Invasion in einem Gebäude untergebracht, mit extrem wenig

Nahrung, Wasser und nur einer, nicht funktionierenden Toilette


- Die Patienten befinden sich in einem kritischen Zustand, viele liegen

auf dem Boden. Drei Patienten müssen intensivmedizinisch versorgt

werden. Zwei Patienten, die an lebenserhaltenden Maßnahmen hängen, sind

aufgrund des Stromausfalls gestorben


- Die Patienten haben keine Begleiter oder Betreuer


- keine medizinische Grundversorgung, keine Verbände, keine Medikamente

mehr verfügbar


- medizinisches Personal hat um dringende Evakuierung von Patienten gebeten.


- In der Nähe des Krankenhauses sind Angriffe zu hören.


- Das Gesundheitspersonal ist um seine eigene Sicherheit und die seiner

Patienten besorgt.


Das Völkerrecht ist diesbezüglich eindeutig: PatientInnen, medizinisches

Personal und ZivilistInnen müssen geschützt werden.


An dieser Stelle sei auf die Recherche eines Teams der Washington Post

vom 21. Dezember 2023 verwiesen – bereits damals erwiesen sich die

Anschuldigungen Israels, das Al-Shifa Spital sei eine

„Hamas-Kommandozentrale“, als haltlos:


/„Die von der israelischen Regierung vorgelegten Beweise reichen jedoch

nicht aus, um zu zeigen, dass die Hamas das Krankenhaus als Kommando-

und Kontrollzentrum genutzt hat, wie eine Analyse der Washington Post

von Open-Source-Bildern, Satellitenbildern und sämtlichen öffentlich

freigegebenen IDF-Materialien ergab. Dies wirft nach Ansicht von Rechts-

und humanitären Experten kritische Fragen darüber auf, ob der Schaden

für die Zivilbevölkerung, der durch die israelischen Militäroperationen

gegen das Krankenhaus verursacht wurde - Umzingelung, Belagerung und

schließlich Razzia der Einrichtung und des darunter liegenden Tunnels -

in einem angemessenen Verhältnis zur festgestellten Bedrohung stand./


/Die Analyse der Washington Post zeigt:/


/- Die Räume, die mit dem von den IDF-Truppen entdeckten Tunnelnetz

verbunden waren, wiesen keine unmittelbaren Hinweise auf eine

militärische Nutzung durch die Hamas auf./


/- Keines der fünf von Hagari identifizierten Krankenhausgebäude schien

mit dem Tunnelnetz verbunden zu sein./


/- Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Tunnel von den Krankenhäusern

aus zugänglich waren.“/


Vollständiger Bericht in englischer Sprache:


*The case of al-Shifa: Investigating the assault on Gaza’s largest hospital*


https://www.washingtonpost.com/world/2023/12/21/al-shifa-hospital-gaza-hamas-israel/ 

<https://www.washingtonpost.com/world/2023/12/21/al-shifa-hospital-gaza-hamas-israel/>


_______________________________


Phillipe Lazzarini, Leiter des palästinensischen

UN-Flüchtlingshilfswerks (UNRWA) erklärte gestern, dass Israel die

Vereinten Nationen darüber informiert hat, dass es keine

UNRWA-Lebensmittelkonvois in den Norden des Gazastreifens mehr

genehmigen werde. Eine Viertel Million Menschen sind im Norden von den

ohnehin bisher kaum durchgelassen Lebensmittellieferungen der UNRWA

abhängig. Israels Ankündigung, keine Lieferungen der UNRWA mehr

durchzulassen kommt für viele Menschen einem sicheren Todesurteil gleich.


Die Karwoche hat begonnen. Nicht nur muslimische Palästinenserinnen und

Palästinenser werden während des Fastenmonats Ramadan daran gehindert,

zur Al Aqsa Moschee zu kommen, um zu beten. Wie die Nachrichtenagentur

Wafa gestern berichtete, hat Israel tausende palästinensische

Christinnen und Christen aus dem besetzten Westjordanland, die an den

Palmsonntagsfeierlichkeiten bei der Grabeskirche in der Altstadt von

Jerusalem teilnehmen wollten, an der Einreise nach Jerusalem gehindert.


**


*Weitere Lese-Empfehlungen:*


*The spiraling absurdity of Germany’s pro-Israel fanaticism*


/As repression of Palestine solidarity penetrates every sector of life,

the state's liberal self-image is fast becoming a story Germans can only

tell themselves./


Von Michael Sappir, 21. März 2024


https://www.972mag.com/germany-israel-palestine-solidarity-repression/?utm_source=972+Magazine+Newsletter&utm_campaign=73dd146f0d-EMAIL_CAMPAIGN_9_12_2022_11_20_COPY_01&utm_medium=email&utm_term=0_f1fe821d25-73dd146f0d-320825729 

<https://www.972mag.com/germany-israel-palestine-solidarity-repression/?utm_source=972+Magazine+Newsletter&utm_campaign=73dd146f0d-EMAIL_CAMPAIGN_9_12_2022_11_20_COPY_01&utm_medium=email&utm_term=0_f1fe821d25-73dd146f0d-320825729



*"Kein logistisches Problem, sondern ein politisches" - Parnian Parvanta

von Ärzte ohne Grenzen über fehlende Hilfsgüter in Gaza*


/Im Gespräch erzählt Parvanta auch von Kollegen, die von israelischen

Soldaten getötet wurden, manche sogar während ihrer Arbeit am

Patientenbett. Sie würde sich wünschen, dass die Vorfälle

völkerrechtlich aufgeklärt werden, viel Hoffnung hat sie aber nicht./


https://www.sueddeutsche.de/meinung/podcast-parnian-parvanta-aerzte-ohne-grenzen-gaza-carolin-emcke-in-aller-ruhe-1.6475454


*“Man-made hell on earth”: A Canadian doctor on his medical mission to

Gaza *


/“I saw scenes that were horrific and I never want to see again,” said

Yasser Khan, a surgeon from Toronto./


https://theintercept.com/2024/03/23/intercepted-doctor-gaza-interview/ 

<https://theintercept.com/2024/03/23/intercepted-doctor-gaza-interview/>


Bitte hören Sie nicht auf, über Gaza zu sprechen.


Mit allen guten Wünschen


Martha Tonsern


Dr. Martha Tonsern


/Büro des Botschafters/


Vertretung des Staates Palästina in Österreich, Slowenien und Kroatien

und ständige Beobachtermission des Staates Palästina bei der UN und den

internationalen Organisationen in Wien


/Office of the Ambassador/


Mission of the State of Palestine to Austria, Slovenia and Croatia and

Permanent Observer Mission to UN and Int. Org. in Vienna


*image003.png*


**


*Josefsgasse 5*


*1080 Wien*


*Austria*


**


*Tel.: +43 1 408 820 315*


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unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.





Weiteres:




Millenarismus


de.wikipedia.org, bernommen am 27. März 2024, 1:45 Uhr

Millenarismus, Millennialismus (von lateinisch millennium „Jahrtausend“) oder Chiliasmus (von altgriechisch χίλια chilia „tausend“, adj. „chiliastisch“) bezeichnet ursprünglich den Glauben an die Wiederkunft Jesu Christi und das Errichten seines tausend Jahre währenden Reiches (genannt Tausendjähriges Reich oder tausendjähriges Friedensreich), manchmal mit Israel als politisch und religiös dominierender Weltmacht. Der Begriff wird auch allgemein verwendet als Bezeichnung für den Glauben an das nahe Ende der gegenwärtigen Welt, manchmal verbunden mit der Erschaffung eines irdischen Paradieses, oder für einen apokalyptischen Fatalismus im Zusammenhang mit einer Jahrtausendwende.

Inhaltsverzeichnis

Religiöser Millenarismus

Messianismus und Chiliasmus

Einen eschatologischen Messianismus als erweiterten Begriff des Millenarismus gibt es sowohl im Christentum als auch im Judentum, im Islam und im Zoroastrismus und weiteren kleineren Religionsgemeinschaften.


Einige christliche Gruppen wie etwa die Mormonen sind der Ansicht, dass ihr eigenes Auftreten mit dem Kommen des Millenniums gleichzusetzen ist oder durch das Kommen des Millenniums begründet wird. Für die Christen der Bibelforscherbewegung beginnt das Millennium nach Harmagedon und ist gleichzusetzen mit dem Jüngsten Gericht.

Es gibt auch einen säkularen Millenarismus. In der Soziologie wird dafür eher der Begriff Chiliasmus verwendet (vgl. Wilhelm Emil Mühlmann, Chiliasmus und Nativismus); es wird vermutet, dass alle Kulturen (auch Stammeskulturen) in schweren sozialen Krisen zu chiliastischen Innovationen neigen, das heißt neuartige Lösungen für die Probleme hervorbringen.




Die vier hauptsächlichen Sichtweisen des Millenniums


Millenaristische Konzepte im heutigen Christentum

Prämillenarismus und Dispensationalismus

Hauptartikel: Prämillenarismus

Diese im Evangelikalismus weit verbreitete Überzeugung geht auf die frühen Christen zurück, insbesondere auf Offb 20,1–10 LUT. Der Ausdruck besagt, dass Christus vor dem Millennium sichtbar wiederkommen wird (lat. prae „vor“). Innerhalb des Prämillenarismus gibt es ursprünglich die historische (auch: „heilsgeschichtliche“) und die futuristische Denkrichtung. Die historische Richtung sieht in den Visionen im Buch Daniel und der Offenbarung des Johannes symbolisch vorgeschaltete Abfolgen der Kirchengeschichte. Die futuristische Richtung bringt die Endzeit in Zusammenhang mit dem geistlich wiederhergestellten Israel.[1] Die Verbreitung des Prämillenarismus wurde durch die pessimistische Weltsicht als psychische Folge von Industrialisierung, großen Wirtschaftskrisen, den Weltkriegen, dem Kalten Krieg sowie des Sechs-Tage-Krieges (Israel) gefördert.

Anhänger des neueren Dispensationalismus vertreten in der Regel ein Modell der futuristischen Denkrichtung des Prämillenarismus. Eine Besonderheit stellt die Entrückung der Gläubigen zusammen mit Christus dar, die vor der Trübsalszeit geschieht.

Der progressive Dispensationalismus, wie er etwa von Robert Saucy, Darrell Bock und Kenneth L. Barker vertreten wird, geht noch einen Schritt weiter und nähert sich dem Prämillennialismus an. Israel und die Gemeinde werden zwar weiterhin als Völker mit verschiedenen Verheißungen und Aufträgen betrachtet, aber spätestens in der Ewigkeit ist diese Unterschiedenheit aufgehoben.[2]

Postmillenarismus

Hauptartikel: Postmillenarismus

Diese im arminianisch geprägten Christentum verbreitete Denkrichtung ist eine Art realisierter Millenarismus. Die systematische Aufarbeitung dieser Richtung geht auf den anglikanischen Geistlichen Daniel Whitby (1638–1726) zurück. Er vertrat die Ansicht, das Millennium bräche an, wenn sich alle Menschen zu Jesus bekehren.[3] Postmillenaristen glauben, dass das Reich Gottes durch christliche Predigt und Lehre erreicht wird, die zu einer besseren Welt führt. Christus kommt nach (lat. post „nach“) dem Millennium und tritt dann erst seine Herrschaft an, d. h. das Millennium ist schon angebrochen.

Amillennialismus

Hauptartikel: Amillennialismus

Diese im Katholizismus und calvinistisch geprägten Protestantismus verbreitete Denkrichtung geht auf die frühen Kirchenväter zurück. Sie wurde von der Reformation nur teilweise in Frage gestellt. Amillenaristen sehen die Zahl 1000 symbolisch und glauben, dass das Reich Gottes heute in der Welt gegenwärtig ist, da der siegreiche Christus seine Kirche durch Wort und Geist regiere. Die Abgrenzung zum Postmillenarismus ist fließend. Von Amillennialisten werden auch präteristische Ansichten vertreten.

Geschichte

Irenäus von Lyon rechnete den Chiliasmus zu den kirchlichen Glaubensbekenntnissen und alle Nichtchiliasten zu Ketzern. Auch Kirchenväter wie Tertullian und Cyprian verkündeten den Chiliasmus.

Nach der Konstantinischen Wende um 313 wurde der Chiliasmus auch innerhalb der Kirche bekämpft. Die Erwartung eines irdischen Gottesreiches galt nun als überflüssig. Der Kirche ging es materiell zunehmend besser. Ihr politischer Einfluss stieg. Dies deutete man als Zeichen, dass das Reich Gottes bereits begann. Man betonte die angebliche „Endlosigkeit“ des Reichs Christi und erklärte die gegenteilige – auch durch Paulus vertretene – Anschauung von einem befristeten (äonischen) Messiasreich (z. B. 1. Korintherbrief 15:24) offiziell zur Häresie. Die Kirche mühte sich, chiliastische Schriften in ihrer Bedeutung in den Hintergrund treten zu lassen.

Augustinus verwarf den Millenarismus nach anfänglicher Befürwortung zugunsten eines Konzeptes, das den Anbruch des Millenniums mit dem ersten Erscheinen Jesu Christi gleichsetzte (Amillenarismus). Als 1000 n. Chr. Christus jedoch ausblieb, wurde es für Anhänger des Amillenarismus notwendig, auch die Dauer der 1000 Jahre allegorisch aufzufassen. Jetzt sollten die 1000 Jahre für einen unbestimmten Zeitraum zwischen den beiden Kommen Christi stehen. Satan sei zwar gebunden, aber noch nicht ganz – das gegenwärtige Zeitalter sei, nach Augustinus, als Kampf zwischen der (weltweiten) Kirche Jesu Christi (der Ekklesia) und der nichtchristlichen Welt, zwischen „Stadt Christi“ und „Stadt des Teufels“ zu sehen (Augustinus, De civitate dei 20,11). Diese allegorische Sicht setzte sich weithin im Christentum durch.

Richard Landes zufolge wurde das Jahr 6000 der jüdischen Zeitrechnung im mittelalterlichen Europa jeweils für 500 und 801 n. Chr. als Ende der Zeiten angesehen. In beiden Fällen habe dies der Klerus genutzt, um zunächst auf das Ende der Zeiten warnend hinzuweisen und danach die Chronologie zu korrigieren. Im Jahr 500 wurde die biblische Zeitrechnung von 6000 auf 5700 korrigiert. 801 sei die Zählung der Jahre Anno Domini (abgekürzt AD, „im Jahre des Herrn“) eingeführt worden. Man rechnete für das Jahr 1000 bzw. 1033 nach der Geburt bzw. der Kreuzigung Jesu mit dem Weltende. Das westliche Christentum erhielt dadurch einiges an Schüben: Pilgerwesen, Häretiker, Geißler und Barfüßer erhielten Auftrieb.[4] Dass es um die Jahre 1000 und 1033 wirklich eine breite millenaristische Erwartung des Endes der Welt gab, wie lange behauptet wurde, wird in der Forschung heute bezweifelt.[5]

Joachim von Fiore entwickelte im 12. Jahrhundert eine „Drei-Zeiten-Lehre“. Danach gibt es – analog zum Dogma der Dreifaltigkeit – drei Reiche bzw. drei Zeitalter: Das Zeitalter des Vaters (Altes Testament) dauere bis zum Erscheinen des Messias Jesus von Nazareth, das zweite, das Zeitalter des Sohnes bzw. der christlichen Kirche bis 1260 n. Chr., das dritte Zeitalter sei das Reich des Heiligen Geistes. Dieses dritte, glückliche Zeitalter werde von der intelligentia spiritualis erleuchtet sein und alle Freuden des himmlischen Jerusalem (Off 21) bieten. Mit diesem geschichtstheologischen Modell war eine deutliche Kritik am Zustand der Kirche verbunden.

Im 15. und 16. Jahrhundert lebte der Prämillenarismus bei Täufern und Taboriten wieder auf. Vor allem um sich aus politischen Gründen von Täuferbewegungen zu distanzieren, verwarfen reformatorische Bekenntnisse (Confessio Augustana 17; Confessio Helvetica posterior 11) den Chiliasmus als Irrlehre.

Erneut lebendig wurde der Chiliasmus im 17. Jahrhundert bei verfolgten Gemeinden in England und den Niederlanden, etwa bei Quäkern oder den Fifth Monarchy Men, an der Wende zum 18. Jahrhundert auch im radikalen Pietismus und später in der daraus hervorgegangenen Inspirationsbewegung. Auch in der Lutherischen Kirche gab es Strömungen des Chiliasmus. Anfang des 19. Jahrhunderts förderte der Chiliasmus die Auswanderung nach Bessarabien, weil die Sehnsucht der Anhänger in Südrussland und vor allem in Kaukasien einen „Bergungsort“ sah. Vor allem 1817 war ein großer Chiliastenzug mit 14 Harmonien zu jeweils etwa 400 Personen zu verzeichnen, der sich auf der Donau auf Ulmer Schachteln einschiffte. In Bessarabien bildeten jene Auswanderer die Bevölkerungsgruppe der Bessarabiendeutschen.

Die „Einigungssätze zwischen der Evangelisch-Lutherischen Kirche Altpreußens und der Evangelisch-Lutherischen Freikirche“, die 1947 erarbeitet und in denen nur die Differenzpunkte zwischen beiden Kirchen behoben wurden, haben einen Abschnitt „Von den letzten Dingen“ (IV), in dem das Problem des Chiliasmus eine wichtige Rolle spielt.

Heutige Akzeptanz

Katholische Kirche, evangelisch-lutherische Kirchen und reformierte Kirchen allegorisieren und spiritualisieren heute jene Bibelstellen, die zur Begründung des Prämillenarismus herangezogen werden, und vertreten in der Praxis eine Mischung aus Postmillenarismus und Amillenarismus. Die Kongregation für die Glaubenslehre der römisch-katholischen Kirche wies 1944 den „gemäßigten Millenarismus“, wonach Jesus Christus vor dem Jüngsten Gericht sichtbar auf die Erde zurückkehren und dort herrschen werde, als nicht sicher lehrbar zurück.[6] Laut dem Evangelischen Kirchenlexikon ist der Millenarismus „heute weitgehend diskreditiert“.[7]

Bei Adventisten, Baptisten, der Bibelforscherbewegung, den Christadelphians, den Jehovas Zeugen, den Mormonen, in Pfingstgemeinden, der Neuapostolischen Kirche und evangelikalen Freikirchen dagegen ist die millenaristische Lehre, einschließlich einer Naherwartung der Parusie, weit verbreitet. Der sogenannte christliche Zionismus ist ebenfalls chiliastisch ausgerichtet.

In den Vereinigten Staaten wurde der Millenarismus in seiner dispensationalistischen Form nach 1945 wieder populär. Evangelikale und christlich-fundamentalistische Publizisten wie Hal Lindsey (* 1929), dessen 1970 erschienenes Werk The Late Great Planet Earth[8] ein Bestseller wurde, deuteten den Kalten Krieg und die Gründung des Staates Israel als Zeichen des herannahenden Weltendes, wobei die Vereinten Nationen, die Europäische Union, die Globalisierung und moderne Kommunikationssysteme als Wegbereiter des Antichristen interpretiert wurden. Seit dem Ende des Kalten Krieges hebt der millenaristische Diskurs stärker auf Umweltkatastrophen und den Islamismus ab.[9] Der amerikanische Politikwissenschaftler Michael Barkun schätzt, dass die Stärke des dispensationalistischen Millenarismus in den USA um das Millennium herum, aber auch danach sogar die der Erweckungsbewegungen der 1830er und 1840er Jahre übertrifft.[10]

Säkularer Millenarismus

Außerhalb der Religion bezeichnet Millenarismus das utopische Streben, einen politisch-gesellschaftlichen Bruch in der Geschichte und einen paradiesischen Zustand herbeizuführen bzw. die geschichtsphilosophische Annahme, die Geschichte laufe teleologisch auf einen solchen Endzustand zu. Der deutsche Philosoph Karl Löwith beschreibt in seinem 1953 erschienenen Werk Weltgeschichte und Heilsgeschehen den Marxismus als säkularisierten Millenarismus:

„Der ganze Geschichtsprozess, wie er im Kommunistischen Manifest dargestellt wird, spiegelt das allgemeine Schema der jüdisch-christlichen Interpretation der Geschichte als eines providentiellen Heilsgeschehens auf ein sinnvolles Endziel hin. Der historische Materialismus ist Heilsgeschichte in der Sprache der Nationalökonomie. Was eine wissenschaftliche Entdeckung zu sein scheint […], ist vom ersten bis zum letzten Satz von einem eschatologischen Glauben erfüllt.“[11]

Außerdem werden verschiedene Formen eines integralen Nationalismus und der Nationalsozialismus, der seine eigene Herrschaft propagandistisch als „Tausendjähriges Reich“ überhöhte, in den säkularen Millenarismus gerechnet: Sie würden eine kollektive Erlösung im Diesseits versprechen, wenn nur erst bestimmte Voraussetzungen erreicht seien – die Zusammenfassung aller Angehörigen der jeweiligen Nation in weitgespannten Grenzen, die Sprengung der Ketten des Versailler Vertrags, die Vernichtung der Juden etc.[12]

Der säkulare Millenarismus verlor mit dem Ende des Kalten Krieges im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts an Bedeutung. Seitdem sieht Michael Barkun eine dritte Form, den „improvisationalen Millenarismus“ aufkommen. Der improvisationale Millenarismus gründe sich nicht auf heilige oder kanonische Texte, sondern bediene sich hochgradig eklektisch bei diversen, auch disparaten Überzeugungen und Weltanschauungen und verknüpfe heterodoxe religiöse Überzeugungen (Esoterik, New Age) mit Grenzwissenschaft und radikalen politischen Ideen, oft auch mit Verschwörungstheorien. Als Beispiele für solchen „improvisationalen Millenarismus“, der sich im Internet-Zeitalter leicht ausbreiten könne, nennt Barkun unter anderem die Aum-Sekte und den Ufoglauben.[13]

Siehe auch

Literatur

  • Claus Bernet: Gebaute Apokalypse. Die Utopie des Himmlischen Jerusalem in der Frühen Neuzeit. Verlag Zabern, Mainz 2007, ISBN 978-3-8053-3706-9.
  • Thomas Johann Bauer: Messiasreich und Neuschöpfung. Die Johannesoffenbarung und der jüdisch-christliche Chiliasmus. In: Erbe und Auftrag 99 (2023), Seite 368–379.
  • Claude Carozzi: Weltuntergang und Seelenheil. Apokalyptische Visionen im Mittelalter. 1996, ISBN 3-596-60113-4.
  • Norman Cohn: Das Ringen um das Tausendjährige Reich. Revolutionärer Messianismus im Mittelalter und sein Fortleben in den modernen totalitären Bewegungen. (Aus dem Englischen The Pursuit of the Millennium) Francke, Bern 1961.
    Mit Nachwort und Änderungen: Das neue irdische Paradies. Revolutionärer Millenarismus und mystischer Anarchismus im mittelalterlichen Europa. Rowohlt, Reinbek 1988, ISBN 3-499-55472-0.
    Die Sehnsucht nach dem Millennium. Apokalyptiker, Chiliasten und Propheten im Mittelalter. Herder, 1998, ISBN 3-451-04638-5.
    Apokalyptiker und Propheten im Mittelalter. Hohe, Erftstadt 2007, ISBN 3-86756-032-3.
  • Robert G. Clouse (Hrsg.): Das Tausendjährige Reich: Bedeutung und Wirklichkeit. Vier Beiträge aus evangelikaler Sicht herausgegeben von Robert Clouse. Beiträge von George Eldon Ladd (Prämillenialismus), Herman A. Hoyt (Dispensationalismus), Loraine Boettner (Postmillenialismus), Anthony A. Hoekema (Amillenialismus), Marburg an der Lahn 1983
  • Klaus Fitschen et al.: Chiliasmus. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Auflage, Mohr Siebeck, Tübingen 2008, ISBN 978-3-8252-8401-5, Bd. 2, S. 136–144
  • Stephan Holthaus: Fundamentalismus in Deutschland: der Kampf um die Bibel im Protestantismus des 19. und 20. Jahrhunderts (= Biblia et symbiotica, Band 1) Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn 1993, ISBN 3-926105-06-2 (Dissertation Universität Leuven 1992, 531 Seiten).
  • Richard Landes (Hrsg.): Encyclopedia of Millennialism and Millennial Movements. Routledge, New York/London 2006, ISBN 978-0-415-92246-3
  • Richard Landes: Heaven on Earth. The Varieties of the Millennial Experience. Oxford University Press, Oxford/New York 2011, ISBN 978-0-19-975359-8
  • Franz Graf-Stuhlhofer: „Das Ende naht!“ Die Irrtümer der Endzeit-Spezialisten (Theologisches Lehr- und Studienmaterial 24). Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn, 3. Aufl. 2007
  • Martin Karrer: Chiliasmus. In: Evangelisches Kirchenlexikon. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1986, Bd. 1, Sp. 655 ff.

Weblinks

Wiktionary: Millenarismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

Michael Barkun: A Culture of Conspiracy. Apocalyptic Visions in Contemporary America. University of California Press, Berkeley 2013, S. 17 f. und passim.


Diese Seite wurde zuletzt am 3. März 2024 um 11:22 Uhr bearbeitet.


  • Stephan Holthaus: Fundamentalismus in Deutschland. Der Kampf um die Bibel im Protestantismus des 19. und 20. Jahrhunderts. (Diss., Leuven 1992) Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn 1993, ISBN 3-926105-06-2, S. 66.

  • Lothar Gassmann: Was kommen wird. Eschatologie im 3. Jahrtausend. Wuppertal 2002, ISBN 3-87857-313-8. Vgl. http://www.bible-only.org/german/handbuch/Dispensationalismus.html

  • Hanspeter Obrist: Gott hält sich nicht an unseren Endzeitplan. In: Vollwertkost. 05/2008. (abgerufen am: 12. April 2012).

  • Richard Landes: While God Tarried: Disappointed Millennialism from Jesus to the Peace of God 33–1033.

  • Sylvain Gouguenheim: Les fausses terreurs de l'an mil. Attente de la fin des temps ou approfondissement de la foi? Éditions Picard, Paris 1999; Reinhart Staats: Apokalyptischer Rückblick vom Jahr 2000 auf das Jahr 1000 In: Manfred Jakubowski-Tiessen et al.: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2000, S. 369–376.

  • Enchiridion Symbolorum 3839, Eintrag vom 19 (22.) Juli 1944, online, Zugriff am 22. Mai 2015.

  • Martin Karrer: Chiliasmus. In: Evangelisches Kirchenlexikon. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1986, Bd. 1, Sp. 657.

  • Hal Lindsey: The Late Great Planet Earth. Zondervan, Nashville 1970; deutsch Alter Planet Erde wohin? Im Vorfeld des Dritten Weltkriegs. Hermann Schulte, Wetzlar 1973.
  • Paul S. Boyer: Chiliasmus. IV. Nordamerika. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Auflage, Mohr Siebeck, Tübingen 2008, ISBN 978-3-8252-8401-5, Bd. 2, Sp. 140 f.
  • Michael Barkun: A Culture of Conspiracy. Apocalyptic Visions in Contemporary America. University of California Press, Berkeley 2013, S. 15.
  • Karl Löwith: Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie. Kohlhammer, Stuttgart 1953, S. 48; zitiert bei Wolfgang Marienfeld: Weltgeschichte als Heilsgeschehen. Die Idee des Endreiches in der Geschichte. Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung, Hannover 2000, S. 28 (online (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive), Zugriff am 14. Mai 2015).
  • Wolfgang Wippermann: Drittes Reich. In: Wolfgang Benz et al. (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 5., aktualisierte und erweiterte Aufl., dtv, Stuttgart 2007, S. 479 f.; Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949 C.H. Beck Verlag, München 2003, S. 569; Michael Barkun: A Culture of Conspiracy. Apocalyptic Visions in Contemporary America. University of California Press, Berkeley 2013, S. 16 f.

  • Info: https://de.wikipedia.org/wiki/Millenarismus


    unser Kommentar: Als Information zur Kenntnisnahme, wobei für uns das kriegerische Geschehen, wie z. B. in der Ukraine sowie in Israel, Palästina und sonstwo, keinerlei Zustimmung bzw. Rechtfertigung erhält.